Volkstrauertag
Volkstrauertag
Die Rede zum
Volkstrauertag hielt in diesem Jahr unsere Kandidatin für die
Bürgermeisterwahl in Borsdorf 2020 und Kreisrätin Birgit Kaden
Es fanden
Kranzniederlegungen in Borsdorf, Zweenfurth und Panitzsch statt.
Hier die Rede:
Sehr geehrte
Damen und Herren,
2019 jährt sich der Beginn des zweiten
Weltkrieges zum 80. Mal. Dieser Krieg, dessen Zahl der Opfer man nur
schätzen kann, weil sie so unvorstellbar groß ist. Es ist die Rede
von über 60 Millionen Menschen die ihr Leben verloren. Aber Opfer
waren auch all die Vertriebenen und Traumatisierten, die irgendwie
mit dem Erlebten weiterleben und neu anfangen mussten. Er begann mit
dem Überfall Russlands und der deutschen Wehrmacht auf unser
Nachbarland Polen Ziel war es, Deutschland zur Weltherrschaft zu
führen.
Unter diesem Schwerpunkt findet auch der diesjährige
Volkstrauertag statt, zu dem ich heute die Ehre habe, Ihnen meine
Gedanken mitzuteilen.
Lassen Sie mich kurz zurückgehen in
das Jahr 1922. In diesem Jahr fand die erste offizielle Feierstunde
im Deutschen Reichstag in Berlin statt. Der damalige
Reichstagspräsident Paul Löbe warb in einer national und
international vielbeachteten Rede für Verständigung und Versöhnung
und rief eindringlich zur Abkehr vom Hass auf. Der Volkstrauertag
wurde dann 1926 zum Gedenken der Opfer von Krieg und Gewalt
ausgerufen. Er soll uns in jedem Jahr dazu dienen, diese Opfer
niemals zu vergessen. Er soll uns Mahnung sein, dass sich solche
Verbrechen gegen die Menschlichkeit und solch unsägliches Leid nicht
wiederholen dürfen. Er soll und muss uns daran erinnern Toleranz zu
leben und Rassismus zu bekämpfen, ganz im Sinne des Ausspruchs:
Wehret den Anfängen!
Aber haben wir das getan?
Wir
schreiben den 02. Juni 2019. Der Tag beginnt mit der Nachricht, dass
der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse
seines Hauses erschossen aufgefunden wurde. Die Ermittlungen ergaben,
dass der CDU Politiker durch einen Kopfschuss von einem Rassisten
regelrecht hingerichtet wurde. Der Grund: Er setzte sich für
geflüchtete Menschen ein.
August 2019. Petra Köpping, die
sächsische Integrationsministerin erhält kurz vor einer
öffentlichen Lesung Morddrohungen. Aus der Presse ist zu entnehmen,
sie wäre kein Einzelfall….
09.Oktober 2019. Ein schwer
bewaffneter Mann versucht vergeblich in Halle eine Synagoge zu
stürmen, um dort ein Massaker an Juden zu verüben. In der Synagoge
befinden sich ca. 60 Gläubige, die den höchsten jüdischen
Feiertag, Jom Kippur, den Versöhnungstag, begehen. Er scheitert zum
Glück an einem Tor und erschießt daraufhin vollkommen frustriert
zwei Unbeteiligte Menschen, die zur falschen Zeit, am falschen Ort
seinen Weg kreuzten.
Was ging Ihnen in dem Moment durch den
Kopf, als Sie diese Nachricht erreichte? Ich dachte zuerst an meine
Kinder, die in Leipzig unterwegs waren, denn Halle ist sehr nah! Dann
vermutete ich, der Attentäter wäre vielleicht ein Moslem, weil von
einem terroristischen Angriff die Rede war. Aber als die Nachrichten
sich konkreter darstellten und es schließlich zur Gewissheit wurde,
dass es sich bei dem Täter um einen Deutschen mit Hass auf Juden
handelte, begann ich mich zu schämen. Ich schämte mich für diesen
jungen Mann, für seine Erziehung, für unsere gesellschaftliche
Unfähigkeit, solch eine Tragödie zu verhindern. Wer hatte an
welcher Stelle versagt? Was hat einen solchen Hass in ihm erzeugt?
Und ich schämte mich auch für mich selbst, denn warum traute ich,
die ich mich für tolerant halte, eine solche Tat zuerst Fremden
zu?
Es ist leider nicht nur ein mulmiges Gefühl, das sich 30
Jahre nach dem Freudentaumel um den Fall der Mauer angesichts solcher
Gewalttaten breitmacht. Es sind Fassungslosigkeit, Traurigkeit und
Wut!
Mit der Wiedervereinigung und einem damit entschärften
Konfliktherd zwischen Ost und West keimte die Hoffnung auf, ein neues
Friedenskapitel in der Weltgeschichte schreiben zu können. Die
Vision von Friedensaktivisten „Schwerter zu Pflugscharen“ schien
plötzlich ein klein wenig realistischer. ADAM KRZEMIŃSKI,
polnischer Journalist und Publizist schreibt dazu in einem
Redevorschlag zum heutigen Volkstrauertag:
„Für die
Ostmitteleuropäer schien ein Jahrzehnt lang die Welt in Ordnung zu
sein, auch wenn auf die „friedliche Revolution“ im früheren
Ostblock die jugoslawischen Nachfolgekriege mit neuem Hass und Morden
folgten.“
In meiner Vorbereitung auf den heutigen Tag sind
mir die folgenden Schlagwörter immer wieder begegnet: Vergessen!
Verantwortung! Versöhnung! Verständigung! Erinnern! Schuld!
denen ich mich abschließend widmen möchte.
Vergessen:
Angesichts der immer komplexer werdenden Problemlagen unserer Welt
dürfen wir niemandem glauben, der uns scheinbar einfache Lösungen
präsentiert. Wir müssen Sachverhalte hinterfragen, überprüfen und
eine eigene Meinung haben, uns mit anderen Meinungen
auseinandersetzen und einander zuhören. Wir müssen aufstehen, gegen
Hass und Gewalt egal von wem diese ausgehen. Gewalt darf niemals in
Gut und Böse eingeteilt werden, denn sie ist immer
schlecht!
Verantwortung:
Jede Gesellschaft ist nur so gut, wie die Menschen die in ihr leben
und sie gestalten. Da stellt sich auch die Frage: Wie gehen wir
miteinander um. Darf man einem jungen Familienvater, der in unserer
Gemeinde für den Gemeinderat kandidiert, Kot in seinen Briefkasten
werfen, weil er für die AfD steht? Ich meine nein, das darf nicht
unsere Antwort auf diese Partei sein. In der sachlichen und ehrlichen
Auseinandersetzung müssen wir uns miteinander verständigen. Jeder
hat die Aufgabe, die Grundwerte der Demokratie mit Leben zu füllen.
Schwächere und Minderheiten müssen geschützt und der
gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden. Wir sind
verantwortlich dafür, unsere Kinder und Enkelkinder für diese
Themen zu sensibilisieren. Von uns Erwachsenen lernen sie Empathie,
Respekt und Toleranz.
Versöhnung
und Verständigung
sind zwei Begriffe, die eng miteinander verbunden sind. Wie sollte
sonst ein friedliches Miteinander möglich sein. Stellen Sie sich
vor, die Juden oder die Polen wären nicht bereit gewesen, sich mit
den Deutschen zu verständigen und sich mit ihnen zu versöhnen. Man
darf niemals vergessen, dass die Polen, die Slawen in der
Rassenideologie keine Mitmenschen für das Führervolk der
nordisch-germanischen Deutschen, sondern ein Sklavenvolk waren. Juden
galten als Schädlinge von Geburt an, die zu vernichten
seien.
Ausdruck von Versöhnung und Verständigung ist auch
die gemeinsame Kriegsgräberpflegevon Polen und Deutschland, Russland
und der Ukraine. Dadurch wurde es möglich, in der Nachwendezeit
viele Opfer des Krieges zu suchen, zu bergen und ihnen auf
Sammelfriedhöfen die letzte Ruhe zu geben.
Erinnern:
Erinnerungen gehören zu unserer individuellen und nationalen
Identität. Erinnerung ist Bildungsarbeit! So gibt es beispielsweise
seit 2005 auf der Insel Usedom die Jugendbegegnungs- und
Bildungsstätte (JBS) Golm die ganzjährig für Jugend- und
Erwachsenengruppen sowie für Individualreisende geöffnet. Die
Kriegsgräberstätte Golm und die nahe deutsch- polnische Grenze sind
Ausgangspunkte für friedenspädagogische Angebote des Volksbundes.
Interkulturelle Begegnungen regen eine wechselseitige
Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und der des
Nachbarlandes an. Die JBS Golm vermittelt Zeitgeschichte durch
moderne Methoden, um Diskussionen über nationale sowie europäische
Erinnerungskulturen zu ermöglichen.
Die Gewalttaten von Halle
und Kassel und die neue politisch motivierte Bereitschaft anderen
Menschen Gewalt anzutun, zeigt deutlich, dass nur das Erinnern vor
dem Vergessen schützt. Die Familie meiner Mutter wurde aus dem
damaligen Ostpreußen vertrieben. Sie erlebte eine Kindheit voller
Leid. Sie erzählte mir, welche Demütigungen sie als Flüchtlingskind
erdulden musste. Diese Berichte binden mich emotional und
beeinflussen mein Handeln und mein politisches Denken.
Schuld:
Betreiben wir Deutschen einen Schuldkult? Dieses Wort verdient es als
Unwort des Jahrhunderts gekürt zu werden. Nein schuldig am zweiten
Weltkrieg fühle ich mich nicht mehr. Aber ich und wir alle wären
schuld, wenn der schwärzeste Teil unserer Geschichte in
Vergessenheit geraten würde.
Wenn wir heute den Opfern von
Kriegen, Gewalt, Terror, Vertreibung und Rassismus eines schuldig
sind, dann ist dies wohl die Auseinandersetzung mit der Bedeutung
dieser Worte und damit auch immer wieder mit unserer Geschichte.
Olaf Bendrat verlass
das Totengedenken.
TOTENGEDENKEN
Wir
denken heute an die Opfer von Gewalt und Krieg, an Kinder, Frauen und
Männer aller Völker.
Wir gedenken der Soldaten, die in den
Weltkriegen starben, der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder
danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und Flüchtlinge ihr Leben
verloren.
Wir gedenken derer, die verfolgt und getötet
wurden, weil sie einem anderen Volk angehörten, einer anderen Rasse
zugerechnet wurden, Teil einer Minderheit waren oder deren Leben
wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert bezeichnet
wurde.
Wir gedenken derer, die ums Leben kamen, weil sie
Widerstand gegen Gewaltherrschaft geleistet haben, und derer, die den
Tod fanden, weil sie an ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben
festhielten.
Wir trauern um die Opfer der Kriege und
Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und
politischer Verfolgung, um die Bundeswehrsoldaten und anderen
Einsatzkräfte, die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.
Wir
gedenken heute auch derer, die bei uns durch Hass und Gewalt gegen
Fremde und Schwache Opfer geworden sind. Wir trauern mit allen, die
Leid tragen um die Toten, und teilen ihren Schmerz.
Aber unser
Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den
Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden
unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.